Eine Szene

by airsnealach

Es war fast windstill, auf der kaum belebten, steilen Strasse.
Gegen zweiundzwanziguhrdreissig kam eine Menschentraube aus dem
Eingang des Kino’s hervor. Es war allem Anschein nach ein guter
Film gewesen, denn die Leute waren sehr ausgelassen, mit einem
etwas zwanghaften Humor beladen.
Ein Mann strebte aus dieser Menge hervor. Es war ein voellig
durchschnittlicher Mann mit weissen Basketballturnschuhen, einer
Denimjeans und einem weiten, grauen Pullover bekleidet. Er ging
mit langen, mutlos wirkenden Schritten die Strasse hinab. Sein
Gesicht wirkte steinern, wie eben ein Gesicht, das keine Gefuehle
zeigen will.
Eben, in der Menschentraube, hatte das Gesicht noch einen Hauch
Verachtung gezeigt. Nun war es regungslos, bis auf die Augen in
denen ein seltsames Feuer brannte und die trotzdem entrueckt und
in Gedanken versunken wirkten.
Der Mann bog in eine Fussgaengerzone der Stadt ein. Er schien
die Menschen um sich herum nicht wahrzunehmen. Er ging in ein Fast-
Fruit-Restaurant und bestellte sich einen Hamburger. Er lehnte sich
an einen Tisch und starrte in eine Ecke. Als der Hamburger fertig
war, zahlte er, nahm den Hamburger und verliess das Restaurant. Er
ass ihn auf der Strasse im Gehen.
Zwei andere Maenner sprachen ihn an, fragten ihn nach einem
Bekannten, ob dieser noch komme. Er laechelte die beiden anderen
Maenner an, nur seine Augen laechelten nicht, und sagte ihnen, dass
der Bekannte noch kommen werde.
Er ging langsam weiter, seinen Hamburger essend, und starrte
geradeaus. Irgendwie wirkte er ziellos. Bald kam er in eine Gegend
der Stadt, die aermlicher und verfallener wirkte. Putz blaetterte
von den Waenden, die Strassenlaternen waren dunkler, es roch nach
Faekalien und Betrunkene wankten die Buergersteige entlang.
Der Mann betrat einen Eingang, der als Zutritt fuer ein paar
Kinos, in denen Pornofilme gezeigt wurden, und einer Diskothek
diente. Er schien sich bestens auszukennen, denn er wusste sofort,
wie er zu der Diskothek kommt. Er wurde von den peitschenden
Klaengen eines modernen Funkstueckes empfangen.
Die Diskothek war ein grosser, hoher Saal, spaerlich beleuchtet
und stark verraucht. Eine große Tanzflaeche, mit Zinkplatten belegt
und einem filigranen Gestell fuer die Lichtanlage darueber, bildete
den einen Schwerpunkt dieses Saales. Der andere Schwerpunkt wurde
durch die Biertheke, die weit in den Saal hineinreichte, gebildet.
Der Mann stellte sich in eine Ecke an der Tanzflaeche und starrte
darauf. Seine Augen brannten noch intensiver. Er stand da, als
wuesste er nicht, was er dort sollte.
Nach einer Weile ging der Mann zu einer Wand, zog seinen Pullover
aus und legte ihn auf eine Bank. Die Musik war inzwischen zu relativ
leicht verdaulichem Jazz uebergeschwenkt.
Der Mann ging langsam auf die Tanzflaeche, etwa in ihre Mitte und
begann zu tanzen. Er tanzte wie besessen, wie ein Verzweifelter und
doch ein wenig verkrampft. Das Brennen in seinen Augen sah man nicht
so gut unter den Reflexen der Lichtanlage. Langsam verschwand die
Verkrampfung aus seinen Bewegungen. Sein Gesicht wurde etwas
weicher, Entpanntheit gewann die Oberhand auf seinen Zuegen und das
Brennen in seinen Augen maessigte sich zu einem warmen,
hingeburngsvollen Leuten.
In seiner Naehe tanzte ein Maedchen. Eine schoene große Frau mit
langem, blonden Haar. Wie ein goldener Vorhang fiel es ueber ihre
Schultern. Sie war eine sehr gepflegte Erscheinung und ihre Augen
waren hell, leuchteten ebenfalls.
Es war jedoch ein ganz anderes Leuchten als in den Augen des
Mannes. Es war sonnig, weich und souveraen, strahlte Optimismus und
Lebensmut aus.
Da sah der Mann das Maedchen in seiner Naehe tanzen und eine
große Freude schien ihn zu durchstroemen. Sie war der erste Mensch,
den er in der Diskothek bewusst wahrnahm. Ein leichtes Laecheln
legte sich ueber sein Gesicht, als er sie ansah. Sie sah in seine
Richtung, aber keine Reaktion war zu erkennen. Sie schien durch ihn
hindurch zu sehen. Das Laecheln des Mannes wurde ironisch.
Nach einiger Zeit, als der Diskjockey ein Stueck auflegte, das
dem Mann nicht gefiel, verliess er die Tanzflaeche, ging zur Theke,
holte sich ein Bier und stellte sich wieder in die Ecke der
Tanzflaeche. Das Brennen war wieder in seinen Augen und ein bitterer
Zug lag um seine Lippen, als er immerfort das Maedchen anstarrte.
Er liebte dieses Maedchen, schon seit ueber einem Jahr. Er war
ihr in dieser Zeit nicht naeher gekommen. Immer hatte er nur
dagestanden und sie angestarrt.
In seinem letzten Urlaub dann, hatte er ihr eine Karte
geschrieben, obwohl er nicht einmal ihren Nachnahmen kannte. Sie
hatte diese Karte erhalten, ihn darauf angesprochen und sich bei ihm
bedankt. Er hatte sie dann noch einige Male zufaellig getroffen und
sie hatte ihn besonders herzlich gegruesst. Er war sehr angetan
davon gewesen. Aber er war auch ein Mensch, der seine Welt relativ
nuechtern betrachtete.
Er hatte niemals wirklich daran geglaubt, dass er mit diesem
Maedchen eine Beziehung eingehen koennte. Sicher, gehofft hatte er
es schon, aber sein Verstand war ihm da im Wege.
Im Laufe seines Lebens hatte er fast nur Rueckschlaege einstecken
muessen. Alle seine Plaene hatten nicht funktioniert. Irgendwann
hatte er aufgehoert zu planen, war zu der Ueberzeugung gekommen ein
Verlierer zu sein. Er hatte gelernt damit zu leben, ja sogar schoene
Seiten daran zu sehen. Er war ausgesprochen selbstironisch und
zynisch geworden.
Und nun beachtete das Maedchen seine Anwesenheit nicht mehr und
zu seiner Verwunderung verletzte ihn das. Es war nicht so, dass er
in seinem Stolz verletzt worden waere, sondern es erschuetterte ihn
in seiner ganzen Existenz, es war das Wissen darum, wieder einmal
gegen eine Wand zu laufen und an ihr zu scheitern. Er musste ein
wenig laecheln, denn er glaubte sich daran schon gewoehnt zu haben.
Wenig spaeter ging das Maedchen an ihm vorbei zur Theke. Sie ging
direkt hinter ihm vorbei, streifte ihn sogar. Er sagte deutlich
„Hallo“ zu ihr, aber sie reagierte wiederum nicht und sah an ihm
vorbei mit jenem Blick, den man hat, wenn man jemanden gesehen hat,
aber so tut als haette man ihn nicht gesehen.
Die Schultern des Mannes sanken noch ein wenig tiefer und das
Feuer in seinen Augen wurde noch ein wenig heller. Er verlangte ja
gar nicht, dass sie ihn liebte, aber dass sie ihn nicht beachtete,
ihn, der sich ja kaum selbst achtete, dass tat weh, drohte ihn
auszudoerren.
Es gab nun keine Moeglichkeit, seine Liebe zu ihr zu
kanalisieren, oder ueberhaupt nach aussen zu bringen; und diese
Lieber verbrannte ihn, drohte ihn auszubrennen, sein ganzes Ich,
sein Selbstwertgefuehl, eben das was ihn ausmachte.
All das hatte der Mann erkannt, aber es fehlte ihm sowohl die
Kraft als auch die Moeglichkeit, das zu aendern.
So zog er sich in seine stummer Selbstbeobachtung zurueck und
betrank sich hemmungslos. Er wollte vergessen, wenigstens einmal
wieder ruhig einschlafen koennen und nicht stundenlang sich hin und
her waelzend, grueblend und verzweifelt auf Schlaf warten.